Kurzer Abriß der Geschichte des Schachspiels in Offenbach am Main
zusammengetragen von Harald E. Balló (Kontaktanschrift siehe Artikel unten)
Offenbach am Main, Paris, Sankt Petersburg, Antwerpen
– 1775: Johann Wolfgang Goethe erlernt im Winter 1774/75 das Schachspiel.[1] Im gleichen Jahr erbauen die Familien d’Orville und Bernard das heute so genannte Büsing-Palais (d’Orvillesches Herrenhaus), in dem auch Goethe anläßlich seiner Liaison mit Elisabeth Schönemann später verehelichte von Türckheim etwa um das Jahr 1785 weilt.
– um 1800: Wolf Breidenbach, im Dorfe gleichen Namens bei Kassel 1751 geboren, gestorben am 29. Febr. 1829 in Offenbach/M., der beste Schachspieler Offenbachs, macht beim Ankauf von Philidors[2] “Schachunterricht” die Bekanntschaft eines adeligen Herrn, durch dessen Empfehlung er sich so weit emporschwingt, daß er sich später um die Abschaffung des Judenleibzolles verdient machen kann.[3]
– 1804: Peter August d’Orville (1804-1864) wird als Sohn der Dorothea Amburger (1783-1806) aus St. Petersburg und des Peter d’Orville (1778-1829) aus Offenbach.in die einflußreiche und merkantil sehr erfolgreiche Offenbacher Hugenotten-Familie d’Orville hineingeboren. Dorothea Amburger ist die Nichte des Hofrats Johann Andreas Augustus Amburger (1741-1809), der der Gründer der zweitältesten Apotheke in Offenbach/M. (heute: Apotheke zum Löwen) ist. Der Hofrat ist ein Pate des Schachspielers Peter August d’Orville. Der andere Pate ist Peter Bernard (1755-1805), der Begründer der Schnupftabakfirma und des Offenbacher Musik-Orchesters.[4] Der Vater von Peter August d’Orville, Peter d’Orville, gründet gemeinsam mit seinem Bruder Jakob Phillip d’Orville 1812 in Regensburg den noch heute existierenden Zweig der Schnupftabakfirma Bernard.
– 1818: Die Tante von Peter August d’Orville Maria Elisabetha Bernard geb. Thurneissen (1757-1834) vermerkt nach Weihnacht 1818 in ihrem Tagebuch: “August bekam Weihnacht ein Schachbrett, welches er sich so sehr gewünscht“.[5]
– um 1820: Die Brüder Alfred (1800-1837), Charles (1798-1825) und Tony Johannot (1803-1852), alle in Offenbach/M. geboren und in Paris gestorben, siedeln nach Paris um und machen dort Karriere. Sie werden in Frankreich zu den gefragtesten Buchillustratoren ihrer Zeit.[6] Der Berühmteste der Brüder, Tony Johannot, illustriert Werke von Balzac, Dumas und Rousseau und anderen. Er erstellt auch drei Stiche mit Schachmotiven. Die aus Genf stammende Familie Johannot ist eng mit der Familie d’Orville befreundet. Familienmitglieder der Johannots und d’Orvilles heiraten untereinander.
– 1836: Peter August d’Orville veröffentlicht in Paris seine Schach-Probleme in der ersten Schachzeitung der Welt, Le Palamede. Zu dieser Zeit lebt er in Antwerpen.
– 1842 publiziert er in Nürnberg ein kleines Schachbüchlein mit dem Titel Problèmes d’Échecs composés et dédiés aux amateurs de ce jeu par Auguste d’Orville, Nuremberg 1842, das zum Klassiker der Problemschachliteratur wird. D’Orville ist der erste, der zweizügige Schachprobleme in bis dahin nicht gekannter Kunstfertigkeit komponiert und der den „Zweizüger“ damit zur Gattung macht.[7]
– 1880: Die Vereinigte Schachgesellschaft 1880 Offenbach am Main wird im November des Jahres 1880 von den drei Schachfreunden Adolph Merzbach, Franz Dörsam und Jean Mueller gegründet. Unter den Gründungsmitgliedern ist auch Adolph Merzbach ein Mitglied des Bankhauses Merzbach (später Schröder, Mönchmeier, Hengst und Co.). Der Verein ist glücklich, daß das Gründungsprotokoll sowie sämtliche Vorstandsprotokolle die Zeiten überdauert haben.
– 1883: Der Verein zählt 25 Mitglieder und ist ab 1. Januar 1883 Mitglied des 1877 gegründeten Deutschen Schachbundes
– 1925: Wilhelm Orbach aus Offenbach wird Hessenmeister. Orbach ist Jude und wird später in Ausschwitz ermordet.[8]
– 1946: Die Vereinigte Schachgesellschaft 1880 Offenbach gehört am 16. Juni 1946 zu den 11 Gründungsmitgliedern des Hessischen Schachverbandes.
– 1955: Anläßlich ihres 75jährigen Bestehens veranstaltet die Vereinigte Schachgesellschaft im noch zerstörten Büsinghof ein Spiel mit lebenden Figuren in historischen Kostümen. Der Deutsche Meister Wolfgang Unzicker spielt einen Simultankampf an 50 Brettern.
– 1980: Der Verein feiert in der Stadthalle Offenbach und in den Räumen der Farbwerke Hoechst unter anderem mit einem Simultanturnier des Großmeisters Viktor Kortschnoi sein 100jähriges Jubiläum.
– 1995: Der Verein ist aktiv in der Jugendarbeit und bringt einen Deutschen Jugendmeister bei den Jungen der Altersgruppe U13 hervor, der auch von der Offenbacher Sportstiftung (Vorstand: Herr Direktor Klepzig) mit einem monatlichen Stipendium gefördert wird.
– 1998: Der Verein ist mit etwa 108 Mitgliedern einer der größten Schachvereine im Rhein-Main-Gebiet und gehört nach einer Aufstellung des Deutschen Schachbundes aus dem Jahre 1998 zu den 30 größten Vereinen des Bundesgebietes.
– 1999: Der Verein inauguriert gemeinsam mit dem Förderkreis für Jugend- und Schulschach e.V., der in Zusammenarbeit mit der Städtischen Sparkasse 1822 Frankfurt auch das traditionsreiche Schulschachturnier Hibbdebach gegen Dribbdebach in Frankfurt organisiert, eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die es einem Diplom-Psychologen und Internationalen Schachmeister ermöglicht, an insgesamt vier Schulen (Leibnizgymnasium, Schiller-Schule, Mathilden-Schule und Bach-Schule) in Offenbach einen Schulschachkurs anzubieten. Ebenso wird an der Ernst-Reuter-Schule in Rumpenheim ein Schulschachkurs angeboten.
– 2000: Im Rahmen des Jumelage-Projektes der Stadt Offenbach mit den Partnerstädten aus Luxemburg (Esch) und Österreich (Mödling) wird anlässlich des 120jährigen Jubiläums des Vereines im Jahre 2000 mit finanzieller Unterstützung der Stadt Offenbach (Herr Frey) ein „schwimmendes Schachturnier“ auf dem Main veranstaltet.
– 2004: Es wird ein regelmäßiger, konstanter Spielbetrieb in den Vereinsräumen im Bischofsheimer Weg 72 in Rumpenheim, das von der Stadt dem Verein zur Verfügung gestellt wird, organisiert. Die erste Mannschaft spielt seit Jahren in der Oberliga Ost, der dritthöchsten Spielklasse Deutschlands.
– 2005: Der Verein feiert sein 125jähriges Bestehen mit einer Reihe von Schach- und Festveranstaltungen und veranstaltet im Haus der Stadtgeschichte eine Schachausstellung. Der Verein zieht in die Arthur-Zitscher-Str. 62 in Offenbach/M. um.
– 2009: Der Verein bringt erneut einen Deutschen Meister (Hagen Poetsch) und zwar in der Altersgruppe U 18 hervor.
[1] Boyle, Nicholas: Goethe, Beck Verlag, München 1995, Bd. 1, S. 232
[2] Francois André Philidor (1726-1795) Opernkomponist und bester Schachspieler seiner Zeit
[3] Graetz, Geschichte der Juden XI, 617 (Mitteilung des Dr. Formstecher)
[4] Geburtenregister der deutsch-reformierten Gemeinde zu Offenbach/M.
[5] Familiengeschichte d’Orville nach Anton Sandhagen im Besitz von Eberhard d’Orville, Dieburg
[6] Thieme und Becker: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Seemann Verlag, Leipzig, 19. Band, S. 68 ff.
[7] Kohtz u. Kockelkorn, Das Indische Problem, Stein’s Verlagsbuchhdlg., Potsdam 1903, S. 13 ff.
[8] Magistrat der Stadt Offenbach/M. (Hrsg.), Zur Geschichte der Juden in Offenbach am Main. Band 1, Offenbach/M. 1988, S.188.
Harald E. Balló, Spießstr. 34, 63071 Offenbach/M.
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